Einführung in die Wuppertaler Inkunabelsammlung

 

 

Einleitung


Der vorliegende Katalog verzeichnet 74 Inkunabeln aus dem Bestand der Stadtbibliothek Wuppertal sowie eine aus der Universitätsbibliothek. Er basiert auf Untersuchungen vor Ort im Frühjahr und Sommer 2000, wurde bis zur Jahreswende 2002/2003 im Wesentlichen ausgearbeitet und nach kleineren Änderungen im Sommer 2005 für die Publikation vorbereitet. Die Online-Version ging im August 2006 in das Netz. Der Direktorin der Stadtbibliothek, Frau Ute Scharmann, sowie dem Direktor der Universitätsbibliothek, Herrn Dieter Stäglich, sei – stellvertretend für ihre Mitarbeiter, die mit Rat und Tat zur Seite standen – für ihre jederzeit wohlwollende Unterstützung für diese Arbeit herzlich gedankt.


Grundlage der Arbeit an den Wuppertaler Inkunabeln waren verschiedene bibliographische Vorarbeiten: Vor allem zu nennen ist ein maschinenschriftliches Katalogmanuskript der in der Stadtbibliothek Wuppertal vorhande­nen Inku­na­bel­ausgaben, das der frühere Referent für den Altbestand, Klaus Weyand, in der ersten Hälfte der 1980er Jahre erarbeitet hat. Weiterhin wurden Angaben aus dem Illustrated Incunabula Short Title Catalogue (ISTC) sowie aus dem Manuskript des ‚Gesamtkataloges der Wiegendrucke’ an der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz verwendet. Diese Angaben wurden vom Verfasser des vorliegenden Katalogs um die exemplarspezifischen Eigenheiten der vorhandenen Drucke (Rubrizierung, gemalter Buchschmuck, handschriftliche Glossierung, Bindung, Besitzprovenienzen) ergänzt.


 

Bestandsgeschichte


Die heute in Wuppertal vorhandenen Inkunabeln sind erst nach dem zweiten Weltkrieg dorthin gekommen. Zwar gab es vor 1945 in der Stadtbibliothek schon 25 Wiegendrucke, doch sind diese noch in den letzten Kriegstagen mit dem Gesamtbestand von 25.000 historischen Drucken am Auslagerungsort in Köln-Mülheim verbrannt. Altbestände der Ratsbibliothek Elberfeld sowie verschiedener geistlicher Institutionen im heutigen Stadtgebiet sind in Wuppertaler Bibliotheken also nicht mehr erhalten. Der Aufbau der neuen Inkunabelsammlung in der Stadtbibliothek fiel in die Jahre 1948-1964 und wurde vor allem mit Hilfe des deutschen, niederländischen und englischen Antiquariatshandel betrieben (vgl. Register Provenienzen). Zwei Inkunabeln kamen als Dubletten aus der Universitätsbibliothek Göttingen (Nr. 62, 66) in die Stadtbibliothek. Die Inkunabel aus der Universitätsbibliothek (Nr. 75) kam dorthin erst durch den Ankauf der Büchersammlung des Kölner Philologen Günther Jachmann im Jahre 1984.


 

Erschließungsprinzipien


Kernstück des Verzeichnisses ist eine nach Bibliotheken (Stadtbibliothek, Universitätsbibliothek) und Signaturen (zwei Signaturenreihen in der Stadtbibliothek) sortierte Beschreibung der Inkunabeln (Katalog). Angesichts dieser Form der Präsentation, die u.a. gewählt wurde, um die historischen Überlieferungszusammenhänge von Inkunabeln in Sammelbänden deutlich zu machen, sind als unverzichtbare Referenzen unbedingt die Register über Autoren/Werke, Druckorte/Drucker, Inkunabelbibliographien, Provenienzen und Notabilia heranzuziehen. Die Auflösung der Siglen zu allgemeinen Abkürzungen sowie zur abgekürzt zitierten Literatur finden sich in eigenen Verzeichnissen.


Namen von Autoren, Herausgebern, Übersetzern und Druckern, Werktitel sowie die Druckdaten wurden nach den maßgeblichen Inkunabelbibliographien bzw. -verzeichnissen überprüft, zitiert und normiert. Die Angaben zum Blattformat (2°, 4°, 8°), zum Umfang sowie zum gedruckten Buchschmuck (Holzschnitte) ermöglicht die äußerliche Charakterisierung der Ausgabe ohne Rückgriff auf die zitierten Bibliographien und Verzeichnisse.


Bei den Beschreibungen sind die bibliographischen Angaben zu den Druckausgaben auf die wichtigsten Verzeichnisse zu Drucken und Illustrationen reduziert; stattdessen sind die exemplarspezifischen Angaben intensiver berücksichtigt.


Den Einbandbeschreibungen wurden Angaben zu fehlenden Blättern, Umbindungen sowie zur Größe des Buchblocks beigegeben.


Die Angaben zu den Besitzprovenienzen sind in der Regel nachträglich normiert und mit (zumeist aus der Handschrift erschlossenen) Datierungen versehen; kursiv zitiert sind die originalen Angaben nur bei unklarem Wortlaut.


 

Druckprovenienzen und bemerkenswerte Ausgaben


Beim Neuaufbau des Inkunabelbestandes in der Stadtbibliothek haben offenbar regionale Interessen die Auswahl der Druckprovenienzen mitbestimmt (vgl. auch Register Druckorte/Drucker). Dementsprechend ist das nahegelegene Köln als wichtigster Druckort mit 17 Ausgaben über­proportional häufig vertreten. An sonstigen Hauptorten der Inkunabelzeit sind Venedig mit 13 Ausgaben, Basel mit 12, Nürnberg mit 7, Straßburg mit 6 und Ulm mit 5 Ausgaben vertreten.


Besonders seltene Inkunabelausgaben sind in der Wuppertaler Bibliotheken nicht vertreten – mit einer Ausnahme: Von der Inkunabel der Universitätsbibliothek (Nr. 75), eine am 28. Mai 1490 bei Johann Fabri in Lyon gedruckte Schulausgabe der Komödien des Terenz mit einem Kommentar des italienischen Humanisten Giovanni Calfurnia da Brescia (um 1450-1503), konnte bislang kein weiteres Exemplar nachgewiesen werden. Es handelt sich also um ein Unikat.


An volkssprachigen Ausgaben sind eine Ausgabe der ‚Kölner Chronik’ in riuparischer Schreibsprache (Nr. 27), eine in Ulm gedruckte und dort auch gebundene Ausgabe eines deutschen Psalters (Nr. 67), ein lateinisch-deutsches Predigerglossar (Nr. 50) sowie eine in Florenz gedruckte Predigtausgabe Savonarolas in italienischer Sprache (Nr. 48) zu nennen.


 

Einbände


Etwa ein Drittel aller Drucke ist im Originaleinband erhalten geblieben (vgl. auch Register Notabilia, s.v. ‚Einbände’). Aus der spätgotischen Epoche konnte eine Reihe von Werkstätten identifiziert werden, darunter bedeutende, teilweise auch für den Buchfernhandel arbeitende Ateliers in Nürn­berg, Augsburg, Ulm, Magdeburg, Erfurt, Köln, Konstanz, Eichstätt, Lüneburg, Uelzen und Krakau. Einbände aus der Zeit der Renaissance und des Barock sind vergleichsweise spärlich vertreten. Nicht selten sind die Einbände auf den Innendeckeln mit Makulatur aus Handschriften und Urkunden, v.a. des 14./15. Jahrhunderts, sowie mit Fragmenten aus Inkunabeln- und Frühdrucken beklebt worden (vgl. Register Notabilia, s.v. ‚Einbandmakulatur’). Drei Einbände tragen noch heute Spuren einer ehemaligen Kettenbefestigung in einer (klösterlichen) Pultbibliothek (Nr. 6, 17, 26).


 

Besitzprovenienzen


Der erneute Bestandsaufbau an Inkunabeln nach 1945 mit Hilfe des Antiquariatsmarkts ergibt heute provenienzgeschichtlich keine gewachsenen Sammlungen, sondern eine breite geographische Streuung. Bemerkenswert ist der große Prozentsatz, der aus dem Altbestand der durch die Säkularisation Anfang der 19. Jahrhunderts aufgelösten Klosterbibliotheken katholischer Gebiete im deutschsprachigen Süden kam. Vertreten sind etwa die Benediktinerklöster Sankt Emmeram in Regensburg (Nr. 35), Sankt Ulrich und Afra in Augsburg (Nr. 45) und Irsee/Ostallgäu (Nr. 31), das Augustiner-Eremitenkloster Weyarn/Oberbayern (Nr. 50), das Zisterzienserkloster Fürstenfeld bei München (Nr. 58), die Kartause Prüll bei Regensburg (Nr. 36), das Franziskanerkloster Luzern (Nr. 55), das Dominikanerkloster Retz/Niederösterreich (Nr. 30) sowie das Augustiner-Chorherrenkloster Polling unter Propst Töpsel (als Dublette der Königlichen Bibliothek München im 19. Jahrhundert weiterverkauft, Nr. 68). Im Westen und Norden sind das Benediktinerkloster Tho­ley/Saar­­­land (Nr. 7-8), das Servitenkloster Kreuzberg bei Bonn (Nr. 32), das Kapuzinerkloster Brenschede/Sauerland (Nr. 13) sowie das Franziskanerkloster Lüneburg (Nr. 25-26) zu nennen; aus Italien kommt ein Band aus dem Franziskanerkloster Palombara Sabina in Umbrien dazu (Nr. 38). Bei den zurückhaltend vertretenen Individualbesitzern hervorzuheben sind eine 1475 in Venedig gedruckte Ausgabe mit Predigten des Leonardus de Utino, die Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts durch die Hände von mindestens vier sizilianischen Klosterbrüdern aus dem Dominikaner- und Karmeliterordens ging (Nr. 63), sowie eine Inkunabel aus der umfangreichen Bibliothek des Anfang des 19. Jahrhunderts im Münsterland tätigen Pfarrers Johannes Niesert (Nr. 65).

 

Berlin, 12. August 2005 (Manuskript) und 20. August 2006 (Online-Version)

mailto: Jürgen Geiß